Reclaiming Anarchismus

      Reclaiming Anarchismus

      Hi,

      ich versuche es mal über die Kontaktseite hier:

      Gibt es da draußen Reclaimer oder andere Hexen und Heiden, die Interesse an einem Austausch, einer Diskussion, evt. sogar einer subversiven Gruppe(-nbildung) haben, mit dem Thema "Anarchismus" ?
      Gemeint ist ausdrücklich Ankap, Voluntarismus, Libertarismus; Ankoms können natürlich auch gerne eine Gruppe bilden (nur halt nicht mit mir) oder einfach so diskutieren.

      Ich möchte meine Gedanken und Vision einer herrschaftsfreien Gesellschaft gerne in druckreife Worte und ausführbare Aktionen gießen und könnte dabei Hilfe, Diskussionspartner und kreative Köpfe brauchen.
      Besonders interessiert mich momentan die Schnittstelle anarchistische Ethik/Spiritualität, wie sie in den Prinzipien der Einigkeit zum Ausdruck kommt und eine gründliche Diskussion einzelner Aspekte der Prinzipien in Hinblick auf den darin zum Ausdruck kommenden (oder nicht kommenden - open end) Anarchismus (und ich fürchte, ich will das darin enthaltene Wort soziale Gerechtigkeit reclaimen).
      Interesse?

      Kontakt über mich per pn, wenn ihr euch nicht outen wollt oder direkt hier.

      bb
      farnblüte
      Aum Hrim Shrim Klim Adya Kalika Parameshavari Svaha
      Ich interessiere mich im Augenblick auch für alternative Gesellschaftsformen, stehe aber immer noch den Begriffen Anarchie & Co. mit einem gewissen Ablehnungsreflex gegenüber. Als produktives Mitglied einer Gruppe bin ich daher wohl (noch) ungeeignet. Aber falls mal (konstruktive) Kritik gewünscht wird, würde ich gern mal über die Schulter schauen.
      stehe aber immer noch den Begriffen Anarchie & Co. mit einem gewissen Ablehnungsreflex gegenüber.

      Was genau verstehst du denn unter Anarchie?

      Ich frage, weil ich diesen Reflex auch lange hatte; ich sah die Anarchisten um 1900 und war von ihrer Gewalttätigkeit abgeschreckt. Für mich war Anarchie = Gewalt oder Herrschaft durch Gewalt.
      Bis ich mich über politische Herrschaftsformen (übrigens in einem Buch von der Zentrale für politische Bildung, zu einer Zeit, als man pro Halbjahr noch drei Bücher kostenlos bekam und ich das weidlich genutzt habe) schlau gelesen habe und entdeckte, dass die eigentlich Anarchie absolut gewaltlos ist.
      Wenn man über Anarchie schreibt, muss man einen ähnlichen Haftungsausschluss voran stellen, wie man es auch macht, wenn man über Reclaiming schreibt: Das folgende gibt meine Anschauung und Wissen wieder, Ich spreche für mich selbst und nicht im Namen anderer Anarchisten, die eine andere Auffassung haben können. ;) OK, kurz, knapp und nicht vollständig:

      Die wohl wichtigsten Prinzipien der Anarchie sind diese:
      Anarchisten streben danach, frei zu leben und nach ihrem ureigenen individuellen Glück zu streben. Sie gehen davon aus, dass dazu ein gewaltfreies Miteinander unabdingbar ist.

      Jeder Mensch gehört sich selbst. Das heißt: Niemand kann den Körper eines anderen Menschen besitzen. Daraus folgt, dass es kein Recht geben kann, das ein Mensch am Körper eines anderen Menschen ausüben könnte - kein Mensch darf einen anderen Menschen zu Handlungen zwingen. Damit ein Mensch mit seinem Körper etwas anfangen kann, muss er ihn unterhalten, um sein individuelles Glück zu suchen und zu finden, muss er seine Bedürfnisse befriedigen können (oder zumindest danach streben können), daraus leiten Anarchisten das Recht auf Eigentum ab. Das, was ich mit meinem Körper erschaffe ist genauso mein Eigentum, wie mein Körper selbst, ohne den es ja nicht erschaffen worden wäre und niemand hat das Recht, es mir mit List oder Gewalt wegzunehmen.

      Alle Interaktionen beruhen auf Freiwilligkeit. Das heißt auch Vertragsfreiheit. Ein Vertrag ist zum Beispiel ein Tauschgeschäft, das auf Freiwilligkeit beruht, wie die meisten unserer privaten Tauschgeschäfte. Man könnte auch Vereinbarung sagen. Da es auf Freiwilligkeit beruht, ist jede Vereinbarung oder Vertrag nur so lange von Bestand, wie sich beide Parteien freiwillig daran halten wollen, es muss zwingend die Möglichkeit geben, diesen Vertrag zu kündigen. Kein Außenstehender hat das Recht, sich in eine Vereinbarung mit Geboten oder Verboten einzumischen. Und natürlich kann es auch keine Verträge zuungunsten Dritter geben - denn ein weiteres wichtiges Prinzip ist das

      Nicht-Aggressionsprinzip: Niemand hat das Recht, Gewalt zu initiieren. Also kein Recht, jemanden zu töten, den Körper zu verletzen oder das Eigentum eines anderen Menschen zu verletzen oder zu rauben. Aber Achtung: Anarchisten sind keine rosarote Brille Spinner, sondern Realisten: Es gilt der vereinfachte Kant`sche Imperativ: Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu. Was im Umkehrschluss heißt, wenn jemand angegriffen wird, darf er sich verteidigen, wobei aber die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben muss.

      Anarchisten und Reclaimer haben meiner Meinung nach ja schon einiges gemeinsam, oder vielleicht sollte ich es so formulieren, in Reclaiming wird Anarchismus teilweise schon gelebt. Wir haben keine Herrscher, die uns vorschreiben, was wir machen müssen. Wir haben erkannt, dass alles Leben heilig ist und die Göttin immanent - daraus folgt doch, dass wir uns nichts mit Gewalt aneignen und das wir niemanden zu etwas zwingen. "Tue was Du willst, aber schade Niemanden" ist quasi ein anarchistisches Prinzip. In Reclaiming entscheiden wir im Konsens - so würde man auch in einer anarchistischen Gesellschaft entscheiden, keine Mehrheit kann dem Einzelnen etwas befehlen - wenn man über eine Sache keinen Konsens hat, wird entweder solange nach einer Lösung gesucht, bis es für alles passt oder man beteiligt sich nicht an einem Projekt, das man nicht unterstützen will oder kann ("man steht beiseite") oder man verlässt die Gruppe und macht sein eigenes Ding.

      lg
      farnblüte
      Aum Hrim Shrim Klim Adya Kalika Parameshavari Svaha
      Welche Instanz sorgt denn dafür, dass sich Menschen in ihrer eigenen Verantwortung auch an eingegangene Verpflichtungen halten. Z.B. das freiwillig eingegangene Tauschgeschäft: Du kriegst von mir jetzt den Winter über meine eingelagerten Winteräpfel, wenn ich im Frühjahr auf Deinem Land Spinat säen darf.

      Was ist, wenn einer Äpfel nimmt, aber den Acker nachher selbst benutzt?
      Hi Aktaion,

      Es gibt eben keine übergeordnete Instanz, die ein Monopol hat - keinen "Letztentscheider". Deshalb gibt es auch auf deine Frage mehrere Antworten!
      Dein Beispiel ist relativ leicht - ich kann nämlich annehmen, dass ​Du in einer ländlichen Umgebung lebst ;) und deinen Tauschpartner kennst. Das ist eigentlich schon eine Garantie dafür, das Du nicht auf diese Weise betrogen wirst, denn in einer anarchistischen Gesellschaft ist die Hemmschwelle, jemanden so zu betrügen wesentlich höher. Der Ruf wäre vielleicht bei einem Vorfall nicht ruiniert, aber doch beschädigt und das würde es diesem Betrüger schwer machen, seinen Acker nochmal anzubieten oder überhaupt so eine Art Tausch noch einmal zu machen, denn es gebe natürlich kein Gesetz dagegen, seinen Betrug Land auf, Land ab bekannt zu machen. normalerweise behandeln Menschen einander in freiwilligen Beziehungen fair - wie jeder aus seinem Privatleben eigentlich erfahren hat. Hier funktioniert die normale soziale Kontrolle in Gemeinschaften, in denen Menschen ja schließlich nicht nur einmal mit jemanden handeln wollen, sondern irgendwie jeder mit jedem zusammenhängt.

      Also, Du hättest einen Vertrag gemacht - schriftlich oder mündlich mit einem unabhängigen Zeugen. Zu einem Vertrag in einer anarchistischen Gesellschaft gehört immer, dass man sich darauf einigt, an wen man sich für einen Schiedsspruch wendet, falls es Probleme gibt. Ansonsten würde man so einen Vertrag nur abschließen, wenn man die Person sehr gut kennt. Das könnte ein Mediator sein oder eine Rechts- und Sicherheits- Gesellschaft, ähnlich wie eine Versicherungsgesellschaft heute, oder ein anerkannter Richter. Vielleicht hast Du auf Treu und Glauben gehandelt, ohne Zeugen, dann hast Du aber vielleicht Menschen, die bezeugen können, dass Du diese Äpfel geliefert hast. Ich gehe davon aus, Du hast daran gedacht, eine Klausel in dem Vertrag einzubringen, die erklärt was geschieht, wenn zum Beispiel durch ein Hochwasser der Acker nicht zu benutzen ist. ;) und unter welchen Umständen ansonsten zu einer Auflösung des Vertrages führen könnte (oder auch nicht - eure Wahl). Ich würde zum Beispiel reinschreiben, dass ich auch was anderes als Spinat anbauen darf (vorausgesetzt, das ist zur gleichen Zeit erntereif und ich gleiche den zusätzlichen Dünger aus) oder jemand anders für mich anbauen darf (falls ich mir das Bein breche oder so).

      Du hast auf jeden Fall Anspruch auf Schadensersatz - Du könntest den Marktpreis für deine Winteräpfel fordern, denn die hat er ja bekommen und schuldet Dir ihren Wert (den ihr vorher festgelegt habt und der dem Wert der Pacht für das Land entspricht oder dem Wert des auf dem Mark dann gekauften Spinats).

      In einer kleineren Gemeinschaft würde es sich anbieten, zu einem Mediator zu gehen, falls es in eurem Dorf so jemanden gibt. Denn eine gütliche Einigung ist ja immer für alle am günstigsten. Du musst bedenken, ein Mensch, der in einer kleinen Gemeinschaft lebt und sich den Richtsprüchen eines Mediators völlig verweigert, würde als sehr unzuverlässig gelten und hätte zukünftig da große Probleme, noch Tauschpartner zu finden...
      OK, angenommen, der Typ ist völlig uneinsichtig, dann würdest Du dich an Deine Versicherung wenden oder an einen anerkannten Richter, auf den ihr euch ja im Vertrag schon geeinigt habt.

      Das ist im Prinzip nicht so sehr viel anders, als heute; nur gäbe es eben eine unabhängige und sehr viel vielfältigere Justiz.

      Angenommen, der nun schuldig gesprochene weigert sich hartnäckig, dich zu entschädigen. Die Kosten für den Mediator und Richter hätte er auch zu bezahlen. Dann gibt es weiterhin zwei Wege: Vielleicht seid ihr beide versichert, in dem Fall würde Dir Deine Versicherung den Schaden bezahlen und sich das Geld von dem Schuldner besorgen - entweder im Guten oder notfalls auch durch Gewalt. Dazu muss aber gesagt werden, dass sich auch die "Polizisten" der privaten Rechtschutzversicherungen nicht unverhältnismäßig verhalten dürfen (sonst landen sie auch vor Gericht). Sie könnten zum Beispiel die Bank davon überzeugen, einen berechtigten Pfändungsanspruch zu haben. Im ärgsten Fall würden sie wohl einfach bei dem Typen auf dem Hof aufkreuzen mit ihrer Rechnung und mitnehmen, was diesem Wert entspricht und wenn es dagegen gewalttätige Gegenwehr gäbe, würden sie verhältnismäßige Gegengewalt anwenden müssen.

      Diese Vorgehensweise halte ich für wahrscheinlich und wäre ein Privatrechtssystem, dem ich mich anschließen würde, da ich an die Regulation des freien Marktes in einer globalisierten Welt glaube.

      Aber vielleicht würdest Du ja lieber in einer anderen anarchistischen Gemeinschaft leben? Ihr hättet euch irgendwann alle Land gekauft und freiwillig Verträge unterschirieben, die eine andere Vorgehensweise bevorzugt? Zum Beispiel könnte man sich vorstellen, das in solchen Fällen nicht mit Gewalt etwas eingetrieben wird, sondern, dass eine Ächtung ausgesprochen wird und wenn das nicht hilft, jemand gänzlich aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird. Oder etwas anderes.
      Was man beim Anarchismus verstehen muss, meiner Ansicht nach, ist, dass solange man sich freiwillig zusammenschließt und das Eigentum anderer, nicht Gemeinschaftsmitglieder achtet, machen kann, was man will. Wenn Leute in einer kommunistischen Kommune zusammenleben wollen, können sie das. Allerdings kann darein man niemanden zwingen oder gegen seinen Willen festhalten.

      Ich verlinke mal einen Text an über die Produktion von Sicherheit von einem der Gründerväter des Anarchokapitalismus, Gustave de Molinari (von 1849), ansonsten hat über das Thema Prof. Hoppe viel geschrieben. ;)

      kellmann-stiftung.de/index.htm…g/molinari_sicherheit.htm

      hoffe, das war hilfreich und verständlich!
      lg
      farnblüte
      Aum Hrim Shrim Klim Adya Kalika Parameshavari Svaha
      Hallo Farnbluete,

      ich wollte mich noch mal bedanken für Deine ausführliche Antwort. Im Grunde ist das, was Du als Anarchismus vorgestellt hast nicht anders als beim existierenden Staat. Mir sind die Unterschiede noch nicht so ganz klar. Aber da werde ich mich immer wieder mal mit beschäftigen.
      Im Grunde stellt das o.g. die Privatisierung der Justiz dar. Dem stehe ich sehr skeptisch gegenüber.

      Ich als Angehöriger der Justiz halte auf diese große Stücke. Sie ist unabhängig und durch die Bindung an für alle existierenden Rechte auch größtmögliche neutral. Unterschied: Sie ist vorgegeben quasi ab Geburt in eine Gesellschaft. Ich sehe darin aber dennoch eine Art gemeinschaftlicher Entscheidung. Es macht doch keinen Unterschied, ob Du nun einen Schiedsmann im Dorf durch alle wählen lässt oder aber für das Dorf ein Gesetzbuch schreiben würdest zu der heutigen Regelung.

      Mal sehen, ob ich da noch mehr inhaltliche Unterschiede rausfiltern kann. :)
      Das zeigt mir, dass ich mich nicht genau genug ausgedrückt habe.

      Der Anarchokapitalismus argumentiert an sich ausdrücklich gegen jedes Monopol und das Gewaltmonopol (oder auch Gesetzgebungsmonopol, die Gesetze lassen sich ja nur mit Gewalt durchsetzen) ist das erste und grundlegende Monopol, aus dem heraus alle anderen Monopole als Mittel zur Herrschaft und Umverteilung von Arbeitskraft und Gütern (in Form von Geld in unserer Gesellschaft) geschaffen werden. Das zweite, für die Aufrechterhaltung von Herrschaft vom Gewaltmonopol-Besitzer durchgesetzte, ist das Monopol, das "gesetzliche" Zahlungsmittel zu bestimmen und herauszugeben. Das hätten wir natürlich auch gerne aus dem Weg ;)

      Du sprichst den fiktiven Rousseau`schen Gesellschaftsvertrag an -- der natürlich hinfällig ist, da man keine Verträge abschließen kann, die zuungunsten Dritter sind und damit ist auch jeder Vertrag gemeint, der die eigenen Kinder zwingt, dauerhaft andere Menschen über willkürlich festgelegte Bereiche ihres eigenen Lebens entscheiden zu lassen (zumindest nicht, wenn sie Erwachsen sind). Zudem haben meine Eltern und Großeltern mir so einen Vertrag niemals gezeigt und auch das Finanzamt hat mir niemals einen solchen, unterschriebenen Vertrag vorgezeigt...

      Richtig, es macht keinen Unterschied, ob ein Dorf einen verbindlichen Schiedsmann wählt, der für alle Dorfbewohner und Besucher die Gesetze festlegt oder interpretiert, oder ob eine Staatsoberhaupt das macht (prinzipiell egal, ob es sich um die Gewinner einer Wahl oder einen Diktator oder Erbadel handelt). Der Unterschied zum Anarchismus ist vielmehr, dass jeder einzelne Dorfbewohner die Wahl zwischen verschiedenen Schiedsleuten (und im gegebenen Fall auch Sicherheitsfirmen oder "Schutzleuten") hat, die untereinander bezüglich der Qualität ihrer Leistungen in Konkurrenz stehen. Es gibt keine gemeinschaftlichen Entscheidungen - es gibt freiwilligen Konsens oder Kompromiss oder Gewalt einer bestimmten Gruppe über eine andere. Das heißt jetzt aber nicht im Umkehrschluss, dass nun alle Gesetze, die der Staat sich so ausgedacht hat oder alle Leute, die für den Staat arbeiten, schlecht wären.


      Tatsächlich besagt die anarchistische Theorie, dass sich in maßgeblichen Fragen des Rechts und des Verfahrensrechts im Laufe der Zeit auch in großen Regionen (also, zum Beispiel "der westlichen Welt") und vielen Bereichen ein überall gleich geltendes Recht durchsetzen würde, weil eben die grundlegenden Interessen der Menschen sich gleichen - die große Mehrheit der Bevölkerung begeht zum Beispiel keine Gewaltverbrechen oder Diebstahl und sieht sie im privaten Umgang als Unrecht an, die wenigsten Leute würden wohl zustimmen, einen Ehevertrag zu unterschreiben, der sie verpflichtet, sich bei Verdacht auf Untreue steinigen zu lassen oder Ähnliches (etwas, das in manchen Staaten per GESETZ verordnet wird) etc. Auch Verbrechen ohne Opfer würden natürlich normalerweise nicht verfolgt, sie können höchstens eine Vertragsstrafe nach sich ziehen - wenn es Fundamentalisten geben sollte, die nicht wollen, dass auf den Grundstücken ihrer Siedlung Frauen unverschleiert rumlaufen oder Leute Tabak und Hanf anbauen, dann könnten sie solche Leute von ihrem Grundstück weisen oder sie würden eben das Grundstück des "Verbrechers" als nicht mehr zum Dorf gehörig erklären (das ist ein fundamentales Recht - Ächtung auf der einen, Sezession auf der anderen Seite).

      Das wirklich wichtige ist aber, dass ein gemeinsames Recht sich natürlich entwickelt durch Angebot und Nachfrage, durch Konkurrenz verschiedener Systeme und Angebote. Das wäre in vielen Teilen wahrscheinlich ein Recht, dass sich auch im Laufe der Zeit verändert, weil sich die Verträge, die Menschen miteinander aushandeln verändern. Aber es gäbe immer noch Vielfalt in den Verträgen, weil den unterschiedlichen Interessen der Menschen kein Staat in die Quere kommt. Das ist ein großer Unterschied.

      lg
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      Aum Hrim Shrim Klim Adya Kalika Parameshavari Svaha
      Nymphenkuss, ich bin nicht sicher, ob ich Deine Frage richtig verstehe, wenn die Antwort jetzt total vorbeigeht, tut es mit leid :)

      ​ImMo ist es doch so, der Staat bestimmt im Wesentlichen, was in Verträgen stehen darf und wann Verträge gültig sind unter welchen Bedingungen usw. mit dem Erfolg, dass Leute Recht bekommen vor staatlichen Gerichten, die zwar gegen die ursprünglich festgelegte Absicht eines Vertrages verstoßen, aber sich mit den "Gesetzeslücken" oder "Kleingedruckten" am besten auskennen, bzw. die sich spezialisierte, teure Anwälte leisten können. Ich denke, das gilt für Zivilprozesse genauso wie für Strafprozesse - wessen Anwalt am besten das Verfahren beherrscht, am besten reden kann, hat eindeutig bessere Chancen, bei einem Verbrechen eine Bewährungsstrafe zu bekommen. Zudem hat man als Bürger nicht die Möglichkeit, einen Richter auszuwählen oder auch nur den Gerichtsort. In vielen Städten, in denen sich Anwälte und Richter im gleichen Club treffen, ist das ein Problem. Oder denke als Beispiel nur an die tausend Regeln, die man beachten muss, wenn man ein Geschäft hat - man tut niemanden etwas, zwingt niemanden, mit einem Geschäfte zu machen, aber irgendeine Formulierung in der Werbung oder im Impressum oder ähnlich Absurdes bringt einem eine Klage von einem auf Abmahnungen spezialisierten Anwalt ein - ein Verbrechen ohne Opfer, geschaffen vom Staat zum Nutzen großer Firmen und Anwaltskanzleien.

      ​Wenn Du meinst, dass private Schiedsgerichte irgendwie ungerechter urteilen würden - also die Ermittlungsarbeit, Beweisaufnahme oder wie auch immer man das nennen will würde ja nach fast den gleichen Regeln ablaufen wie heute. Vielleicht würde man Beweise, die heute in manchen Fällen "nicht gelten" in Betracht ziehen, wahrscheinlich hätte man wesentlich bessere Gutachter (weil die nach Qualifikation ausgewählt würde in der Privatrechtegesellschaft und nicht nach bürokratischen Gesichtspunkten von Beamten (nicht-Fachleuten)). Private Schiedsgerichte würden prinzipiell gerechter urteilen und wären weniger anfällig für Korruption, weil sie sich in einem freien Markt befinden im Wettbewerb mit konkurrierenden Gerichten (das gilt auch für Rechtsschutzversicherungen oder Haftpflichtversicherungen, oder wie auch immer sich diese Firmen in einem freien Markt nennen würden, die Aufgaben des Schutzes, Rechtsvertretung und gegebenenfalls Entschädigung, Ermittlung, Schuldeintreibung anbieten) und weil es außerdem auch einen Markt für Transparenz gibt - sowohl Schiedsrichter als auch Versicherungen als auch freie Medien hätten ein Interesse daran, ihrer Konkurrenz "auf die Finger zu schauen" und wenn eine solche "Sicherheitsfirma" oder Person falsche Urteile aufgrund von Unfähigkeit oder Korruption fälle würde, würde sie das publik machen und kein "Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb" würde ihnen das verbieten. In unserer digital vernetzten Welt ist es, Freiheit vorausgesetzt, sehr einfach und preiswert geworden, die Qualität von Produkten und Dienstleistungen zu überwachen. Klar könnte es geschehen, dass eine Sicherheitsfirma sich zum Beispiel von einem sehr reichen Menschen (Konzerne gibt es im Anarchokapitalismus in dem heutigen Sinne nicht, da es keine juristischen Personen gibt) kaufen lässt und das gilt natürlich auch für Gutachter. Es ist aber niemals möglich alle zu kaufen (da der freie Markt keine Zugangsbeschränkung kennt: wenn offensichtlich wird oder auch subjektiv gefühlt wird, das eine Firma nicht die Interessen ihrer Kunden vertritt, gibt es eine Marktnische für eine neue Firma, die Riesengroß ist) aufgrund der Konkurrenz um Kunden, die ein Interesse daran haben, fair behandelt zu werden. Korrupte oder schlechte Schiedsgerichte oder Versicherungen wären schnell raus aus dem Geschäft. Heute ist es ja in vielen Bereichen eher so, dass sich von großen Konzernen bezahlte Lobbyisten an Politiker heften und sie auf die eine und andere Art davon überzeugen, Gesetze zu machen, die auf die Bedürfnisse bestimmter Interessengruppen zuungunsten anderer zugeschnitten sind. Und schlechte Richter, die fachlich schlechte Gutachter bestellen bekommt man so gut wie gar nicht vom Hals.

      lg
      farnblüte
      Aum Hrim Shrim Klim Adya Kalika Parameshavari Svaha
      Das geht schon in die Richtung, aber ich meinte eigentlich mehr, gilt dann nicht überall gleiches Recht? Schlage ich in Kiel jemanden, weil er mir die Tasche wegnehmen will, kann mit mir etwas völlig anderes passieren als in Tübingen?
      Das würde Reisen sehr verkomplizieren, oder?

      Und an Beweissicherung hatte ich noch gar nicht gedacht ...
      Das würden auch private Firmen machen? Das finde ich in der Tat falsch. Sicher hat unser System Fehler, aber ich denke, die Polizei und die Justiz in Deutschland sind schon recht gut.
      Wenn private Firmen diese Sicherung machen, also keine unabhängige (egal wie es ausgeht, gleich bezahlte) Fraktion, was hindert die Privaten daran, das Beweismaterial in dem Sinn ihrer Klienten zu manipulieren, um bessere Erfolgsquoten zu bekommen. Denn sie wollen ja ihre Dienste verkaufen. Und der freie Markt ist da kein Kontrollmechanismus. Im Gegenteil er erzeugt diesen Druck - siehe den Abgasskandal bei VW.
      wahrscheinlich hätte man wesentlich bessere Gutachter (weil die nach Qualifikation ausgewählt würde in der Privatrechtegesellschaft und nicht nach bürokratischen Gesichtspunkten von Beamten (nicht-Fachleuten)).

      Das glaube ich nicht. Es würde nach Erfolgsraten ausgewählt und da sind wir dann wieder bei Leute, die sich und die Sache, für die sie eintreten, besser verkaufen können.
      Hi,

      Ach so :)

      Zur ersten Frage: Naja, das anarchistische Prinzip kommt hier zur Anwendung, das man sich ins Unrecht setzt, wenn man Leben, Gesundheit, Eigentum eines anderen beschädigt oder stiehlt und das daraus folgende Recht, sich verhältnismäßig dagegen zu wehren. Ich glaube nicht, dass sich das zwischen München und Flensburg unterscheiden würde. Da spielt ein bisschen auch der "gesunde Menschenverstand" eine Rolle. Jemand, der Dir Deine Handtasche wegreißen will, wirst Du nicht mit einer Armlänge Abstand und einem Stoppschild davon abhalten können. Er geht Dich körperlich an und Du verteidigst Dich dagegen - das ist Notwehr. Wenn Du ihn niederschlagen würdest (vielleicht kannst du ja Karate oder so) wäre das völlig OK in einer anarchistischen Gesellschaft, wenn Du dann aber auch noch nachschlägst oder trittst, wäre das unverhältnismäßig und Du bekämest evt. dafür eine Schadensersatzklage. Es könnte dir auch ein Passant zur Hilfe kommen und dem weglaufenden Räuber ein Bein stellen - auch der wäre überall im Recht.

      Natürlich könnte es sein, in einer Übergangsphase vom jetzigen System der Monopol Herrschaft zu Anarchie, wie es etwa ein Minimalstaat darstellt, dass sich in manchen geographisch kleinen Gegenden 100% der Menschen darauf geeinigt hätten, das jetzige Rechtssystem aufrechtzuerhalten. Entsprechende Hinweise würden dann wohl bekannt gemacht für Besucher und Du wüsstest: Hier gilt das alte Gesetz der BRD. Das ist möglich aber unwahrscheinlich, wäre aber auch nicht anders als heute, wo ja durchaus unterschiedliche Regeln in verschiedenen Staaten gelten.

      Die meisten Leute würden sich wohl gegen Gewalt/Raub nicht mehr persönlich wehren, als es heute der Fall ist. Wahrscheinlich hätten mehr Leute Waffen bei sich, ob sie diese bei einem Handtaschen oder Taschendiebstahl einsetzen ist aber wieder eine andere Frage, denn Leute wie ich würden beispielsweise das Risiko scheuen, wegen einer Handtasche Gewalt eskalieren zu lassen. Ich würde mich an meine Versicherung wenden, um mir den Schaden bezahlen zu lassen und die wiederum würde nachforschen, ob es in der Straße, in der mir das passiert ist, eine Sicherheitsfirma gibt, die versprochen hat, die Sicherheit aufrecht zu erhalten (und in dem Fall dann versagt hat und zahlen muss). Beide Firmen haben dann ein vitales Interesse daran, den Handtaschendieb zu finden und auch ein großes Interesse, dass sie auch wirklich den Schuldigen finden. So wie heute Versicherungen bereits ziemlich gut darin sind herauszufinden, ob ein Feuer- oder Wasserschaden auf Fahrlässigkeit, Materialschäden, schlampigen Bau oder Absicht (Brandstiftung) zurückzuführen ist, und es sein müssen, um nicht von ihrer Konkurrenz aus dem Feld geschlagen zu werden (weil jeder Schadensersatz ja letztlich irgendwie in die Beiträge fließt), wären sie es auch bei der Aufklärung von anderen Verbrechen. Die Agentur Pinkerton ist ein historisches Beispiel für eine sehr gut funktionierende Firma für Aufklärung und Wiederbeschaffung (da es bisher keine staatenfreie Gesellschaft gibt, gibt es auch nur wenig Beispiele).

      Zu deinem Einwand: Es gibt in Deutschland (2013) 80,8 Mio Menschen, von denen 2024885 straffällig geworden sind (außer Vergehen im Straßenverkehr, Quelle Statistische Jahrbuch des statistischen Bundesamtes 2015). Das bedeutet, in einer Privatrechtegesellschaft, ist der Anreiz, unschuldige Menschen zu schützen, wesentlich größer - von denen wird es immer mehr Kunden geben. Aber man darf auch nicht vergessen, dass in einer anarchistischen Gesellschaft die Entschädigung des Opfers, die so-weit-möglich Wiedergutmachung an erster Stelle steht, das heißt, eine Sicherheitsfirma muss ein Interesse daran haben, die echten Übeltäter zu erwischen - sie müssen dich entschädigen, haben die Kosten für die Ermittlungen und evt. ein Schiedsverfahren - wenn sie nicht sauber arbeiten, werden die davon-gekommenen Täter weitere Kosten verursachen, das wäre schlicht blöd.



      So - jetzt muss Ich erstmal vom Schreibtisch weg
      Aum Hrim Shrim Klim Adya Kalika Parameshavari Svaha
      Der VW Abgasskandal verdient einen eigenen Beitrag, finde ich, weil wir jetzt von der Sicherheitsfrage zur Frage der Regelmechanismen eines wirklich freien Marktes kommen.
      Warnung: Das ist ein sehr weites Feld, vor allem dann, wenn man sich bisher noch nicht tiefer damit beschäftigt hat. Und es gibt viele Trigger-Wörter, die man nicht immer vermeiden kann und deren originäre Bedeutung man manchmal erst mühsam reclaimen muss ;) .


      ​1. VW ist ein Konzern, das heißt, die einzelnen Eigentümer der Aktienpakete, die Manager, der Aufsichtsrat müssen nur begrenzt haften für alles, was die Firma tut oder unterlässt. Im schlimmsten Fall kann die Aktie an Wert verlieren, ein Angestellter Chefmanager kann mit hoher Abfindung entlassen werden aber niemand muss wirklich vollumfänglich mit seinem Privatvermögen haften, weder für wirtschaftlichen Misserfolg, noch für Umweltverbrechen oder schlechte Waren, wenn diese durch politische Gesetze gedeckt werden oder die Verantwortung immer weiter geschoben ist, bis letztlich der "Steuerzahler" in die Verantwortung genommen wird... im Falle von VW buchstäblich, da das Land Niedersachsen ja wohl immer noch einen größeren Anteil an der Firma hat - aber selbst wenn das nicht so wäre, würde die Politik VW nicht Pleite gehen lassen, das zeigt die Erfahrung in der gesamten Geschichte der BRD. Das ist nur kontraproduktiv und fördert Schlampigkeit auf der einen Seite, Raffgier ohne Rücksicht auf das längerfristige Wohl der Firma oder das Gemeinwohl andererseits, es hat auch nichts mit einem freien Markt zu tun.

      2. Die Abgasgrenzwerte werden per Gesetz von der Politik festgesetzt und es ist für die Firmen klar, dass sie weiterhin verschärft werden (es sei denn, die politische "Landschaft" würde sich radikal ändern, worauf man sich aber nicht verlassen kann), alle Autohersteller kommen an die Grenzen der technischen Machbarkeit. Der Druck geht hier also vom Staat aus und fokussiert sich auf einen besonderen Punkt, ohne Rücksicht darauf, welche anderen Punkte es geben könnte (wenn Umweltschutz beispielsweise das Merkmal ist, das entwickelt werden soll, könnte man sich ja auch auf die Gewinnung der Rohstoffe oder besonders gutes Recycling oder andere Dinge konzentrieren, wenn das technisch besser zu machen wäre und vielleicht Autos dann auch noch billiger oder länger haltbar machen würde) und da die Abgaswerte auch die Höhe der laufenden Kosten für die Käufer bestimmen (Steuern und Verbrauch) ist das tatsächlich ein so überlebenswichtiges Merkmal, dass es den freien Wettbewerb verzerrt und das es nicht wundern muss, dass alle möglichen Firmen da tricksen.

      3. Tatsächlich ist VW nicht die einzige Firma, die versucht, diese Gesetze zu umgehen (weil sie es nämlich technisch nicht hinbekommen, ein Auto so herzustellen, das sich die Leute auch noch leisten können, wie sich Politiker das vorstellen). Es war eine stattliche Behörde, die diesen "Skandal" aufgedeckt hat und nicht etwa, weil sie Verbraucher schützen wollte, sondern weil sie die Quelle der eigenen Reichtümer, die Steuergelder, die von Firmen unter ihrer Herrschaft abgepresst werden, schützen wollte. Das ist prinzipiell so bei staatlichem Handeln, es geht immer um die Interessen der Mächtigen. Tatsächlich wurden die Verbraucher nur dann geschädigt, wenn sie nur deshalb einen VW gekauft haben, weil der die besten Abgaswerte hat und fair wäre es ja meiner Ansicht nach, wenn VW ihnen jetzt die Differenz der evt. höheren KFZ Steuern erstattet oder das Auto zurücknimmt. Dann würden sie aber wohl Pleite gehen und das wird der Staat nicht zulassen (da hängen ja Wählerstimmen und Steuergelder und Aktiengewinne dran).

      4. In einem freien Markt wäre VW wahrscheinlich nicht auf die Idee gekommen, Abgaswerte zu verfälschen, hätten sie es aber geraten, wäre es recht schnell herausgekommen. Wieso? Tja, weil es keine Gesetze zum Schutz vor unlauterem Wettbewerb gäbe. Jeder Autohersteller, dessen Konkurrenz einen Wagen mit so fantastischen Abgaswerten auf den Markt bringt wäre bemüht, herauszubekommen, wie die das gemacht haben und könnte ziemlich einfach nachmessen und würden so einem Betrug auf die Spur kommen und ihn sofort öffentlich bekannt machen. Tatsächlich ist diese Messung recht einfach und es waren staatliche Behörden die hier eklatant versagt haben.

      5. In einem freien Markt gäbe es wesentlich mehr Anbieter. Irgendwo in meinen Büchern steckte die Information, es habe im 19.Jahrhundert in Deutschland über 200 kleine Firmen gegeben, die Autos herstellten - das ausufernde staatliche Patentwesen und staatliche Unterstützung in Form von Regierungsaufträgen (für militärische Zwecke größtenteils) haben den Markt verzerrt und die meisten aus dem Markt gedrängt. (Ich kann die Quelle raussuchen, es ist allerdings ein ganz typisches Phänomen in unserem halb-stattlichen, halb-freien korporatistischen Wirtschaftssystem). In einer anarchistischen Gesellschaft gäbe es aber auf jeden Fall wieder mehr Hersteller, die sich mit Freude gegenseitig auf die Finger hauen würden!

      lg
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      Aum Hrim Shrim Klim Adya Kalika Parameshavari Svaha